Andrea Gerk, Lob der schlechten Laune (2017)

Wir leben seit weit über einem Jahr mit vielen Einschränkungen, Verboten, Unsicherheiten und Ängsten. Da ist es nur logisch, dass es um die allgemeine Stimmung nicht gerade bestens steht. So war ich sehr überrascht, als ich neulich auf dieses Buch stieß. Ich konnte mir nicht vorstellen, was an schlechter Laune lobenswert sein soll, liefern wir uns doch täglich gegenseitig viel Anschauungsmaterial, das ich nicht als positiv empfinde. So begann ich die Lektüre skeptisch, aber neugierig.
Die Autorin hat viele Jahre in Wien gelebt, wo sie das "Granteln" kennenlernte, und wohnt jetzt in Berlin, wo offensiv vorgetragener Missmut schon immer als "Berliner Schnauze" verbrämt wurde. Auf fast 300 Seiten wird das Thema von vielen Seiten beleuchtet und dadurch tatsächlich klar, warum in schlechter Laune auch ein gewisses Potenzial liegen kann. 

Andrea Gerk weist darauf hin, dass Theater-, Kinder- und Kriminalliteratur oft gerade den miesgelaunten Akteuren ihren Erfolg verdankt. Man denke nur an den großen Nörgler Thomas Bernhard. Auch der Unterhaltungswert der Miesepetrigkeit in Filmen wie beispielsweise der von Walter Matthau in der Serie "Ein seltsames Paar" wird bei der Lektüre deutlich. Bei vielen Menschen verbirgt sich hinter der mürrischen Fassade zudem ein sehr wacher Geist, der sich nicht durch ständiges Strahlen stören lassen will. Der Schnelldenker Helmut Schmidt ist hier ein gutes Beispiel, dem ewiger Frohsinn und Optimismus schlicht zu blöd waren.

Es gibt viele Spielarten dieses Themas in der Öffentlichkeit wie im Privatleben. Im Grunde sollten wir Verstimmtheit im Berufsleben oder in der Familie nicht überbewerten. Wenn wir anderen das Recht darauf zugestehen und  sie - wenn möglich - in Ruhe lassen, können wir derweil unseren eigenen Gedanken nachgehen. Hat man diese Toleranz erst einmal verinnerlicht, fällt es plötzlich viel leichter, über manche Dinge hinwegzusehen. Ich kann daher - gerade derzeit - dieses geistreiche, oft sehr witzige und hervorragend recherchierte Buch nur empfehlen und verspreche, dass es entkrampfend und erheiternd wirkt. 

(07.05.2021)