Ich binde in mein Coachingangebot immer Leseempfehlungen ein und wende mich daher besonders an Menschen, die gerne lesen. An jedem ersten Freitag im Monat stelle ich in meinem Blog ein Buch vor. Das „Freitagsbuch“ kann ein Roman oder ein Fachbuch sein. Alle Bücher verbindet etwas: Sie drehen sich um Themen, die Menschen in Umbruchsituationen beschäftigen.
Bücher wirken inspirierend und die Leser nehmen etwas mit von den beschriebenen Verhaltensweisen, indem sie Ideen aufgreifen oder Fehler vermeiden. Da Literatur immer individuell wirkt, fühlt sich der Leser nicht von jedem Titel gleich stark angesprochen. Ich biete hier eine Auswahl meiner Lektüre an und hoffe, dass dadurch möglichst viele Leser ihre eigene Situation überdenken und in Ansätzen klären. Zudem wünsche ich den Lesern viel Vergnügen mit meiner Auswahl und immer wieder die beruhigende Erkenntnis, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Problemen.
Ich folge meinem persönlichen Bewertungssystem:
- 6 Bücher = einfach wunderbar
- 5 Bücher = unbedingt lesenswert für eine bestimmte Lesergruppe
- 4 Bücher = interessant für eine bestimmte Lesergruppe
- 3 Bücher = nischig, nur für eine bestimmte Lesergruppe
- 2 Bücher = unterhaltsam, aber nicht mehr
- 1 Buch = lieber etwas anderes lesen
Daniel Keyes, Blumen für Algernon/Flowers for Algernon (1966)
Gibt es Grenzen für Entwicklung?
Der amerikanische Schriftsteller Daniel Keyes hat hauptsächlich Science-Fiction geschrieben und sein berühmtestes Werk ist Blumen für Algernon. Als Vorläufer des Romans erschien bereits 1959 eine Kurzgeschichte unter diesem Titel. Das Werk ist also recht alt, hat aber nichts von seiner Aktualität eingebüßt, denn es geht um ganz elementare Fragen wie die nach ethischen Grenzen für die Forschung, dem Umgang mit kranken Menschen und dem Ursprung von Lebensglück.
In einem Labor wird die Maus Algernon operiert, um ihre Intelligenz zu steigern. Bald schneidet sie in vielen Tests tatsächlich besser ab. Mehrere Wissenschaftler suchen daher eine geeignete Person, um an ihr die Übertragbarkeit dieses Erfolgs auf den Menschen zu testen. Sie stoßen dabei auf Charlie Gordon, der mit einem IQ von 68 einer einfachen Tätigkeit nachgeht, in der er sehr zufrieden ist.
Albrecht Selge, Fliegen (2019)
Immer im Kreis
Mit dem Reisen ist es momentan so eine Sache und wir wissen derzeit nicht, was dieses Jahr gehen wird. Sicher möglich ist weiterhin das Bahnfahren und dazu passt der Roman Reisen von 2019. Der Autor Albrecht Selge hat diverse Stipendien und Preise erhalten. Hier legt er eine sehr ungewöhnliche Geschichte vor:
Eine Frau steigt aus ihrem normalen Leben aus und beginnt, im Zug zu wohnen.
Angelika Schrobsdorff, Du bist nicht so wie andre Mütter: Die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau (1992)
Eine schillernde Persönlichkeit muss noch lange keine liebevolle Mutter sein
Am Sonntag ist Muttertag in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aus diesem Anlass habe ich mir die Geschichte einer besonderen Mutter-Tochter-Beziehung ausgesucht. Sie erzählt davon, wie stark eine solche Beziehung prägen und viele Entscheidungen im Leben beeinflussen kann. Zudem geht es darum, dass eine einst sehr wohlhabende Frau plötzlich in ein anderes Land fliehen und sich auf einen völlig anderen Lebensstandard einstellen muss.
Angelika Schrobsdorff hat nach ihrer Flucht aus Deutschland 1939 in verschiedenen Ländern gelebt und in Jerusalem und Paris zahlreiche Bücher geschrieben, darunter auch diese Lebensgeschichte ihrer mondänen Mutter, in der sie Privates, Historisches und Politisches zu einem großen literarischen Erfolg vereinte.
Martina Goernemann, Sauerteig: Glück vermehrt sich in 4 Tagen (2018) / Sourdough: Four Days to Happiness
Glück auf Umwegen
In der seltsamen Zeit, die wir gerade durchleben, gibt es viel Kurioses. Dazu gehört für mich, dass über Wochen weder Mehl noch Brotbackmischungen zu bekommen waren. Dass Brotbacken ein Modethema ist, war mir klar, aber dass derart viele Menschen Mehl horten, brachte mich dazu, ein besonderes Buch aus meinem Schrank zu holen. Es geht in diesem Buch um viel, viel mehr als Backrezepte, so dass ich es hier heute gerne vorstelle.
Martina Goernemann ist Journalistin in München. Sie kommt ursprünglich vom Fernsehen, hat mittlerweile sieben erfolgreiche Bücher geschrieben und betreibt einen sehr beliebten Blog. Als sie 2018 ihr Buch über Sauerteig schrieb, recherchierte sie in mehreren europäischen Ländern und den USA. Das Buch gehört zu den eher wenigen Veröffentlichungen in diesem Bereich, die gleichzeitig auf dem deutschen und amerikanischen Markt erscheinen. Der Verlag erkannte das Potenzial des Themas für die USA und gerade in diesen Zeiten kommt das Thema besonders gut an, wie ein Blick in die New York Times in diesem April beweist.
Gusel Jachina, Wolgakinder (2018)
So lang und ruhig wie ein russischer Winter
Seit Wochen leben wir auf Abstand, manche Mitglieder der Risikogruppen sogar ganz isoliert. Was liegt da näher als ein Roman, dessen Hauptfigur über weite Strecken auf sich gestellt und von der Gesellschaft abgeschnitten ist, und zu schauen, wie sie damit umgeht?
Nach ihrem Überraschungserfolg von 2015 Suleika öffnet die Augen nimmt sich die russische Autorin und Filmemacherin Gusel Jachina in ihrem zweiten Roman ebenfalls ein geschichtliches Thema in einer entlegenen Gegend vor. Was für ein gewaltiges Werk: Fast 600 Seiten aus dem Leben eines Dorfschullehrers an der Wolga ab 1916. Da kann man schon jedes Zeitgefühl verlieren und es damit dem Protagonisten Jakob Bach gleichtun. Am liebsten würde er mit seiner Klara ein vollkommen zurückgezogenes Leben führen, aber die Wirklichkeit und der Wandel des Landes mit Revolution und Gründung der Deutschen Republik an der Wolga holen ihn immer wieder ein.