Ich binde in mein Coachingangebot immer Leseempfehlungen ein und wende mich daher besonders an Menschen, die gerne lesen. An jedem zweiten Freitag stelle ich in meinem Blog ein Buch vor. Das „Freitagsbuch“ kann ein Roman oder ein Fachbuch sein. Alle Bücher verbindet etwas: Sie drehen sich um Themen, die Menschen in Umbruchsituationen beschäftigen.
Bücher wirken inspirierend und die Leser nehmen etwas mit von den beschriebenen Verhaltensweisen, indem sie Ideen aufgreifen oder Fehler vermeiden. Da Literatur immer individuell wirkt, fühlt sich der Leser nicht von jedem Titel gleich stark angesprochen. Ich biete hier eine Auswahl meiner Lektüre an und hoffe, dass dadurch möglichst viele Leser ihre eigene Situation überdenken und in Ansätzen klären. Zudem wünsche ich den Lesern viel Vergnügen mit meiner Auswahl und immer wieder die beruhigende Erkenntnis, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Problemen.
Ich folge meinem persönlichen Bewertungssystem:
- 6 Bücher = einfach wunderbar
- 5 Bücher = unbedingt lesenswert für eine bestimmte Lesergruppe
- 4 Bücher = interessant für eine bestimmte Lesergruppe
- 3 Bücher = nischig, nur für eine bestimmte Lesergruppe
- 2 Bücher = unterhaltsam, aber nicht mehr
- 1 Buch = lieber etwas anderes lesen
Uwe Wittstock (2021), Februar 33: Der Winter der Literatur
Wie schnell das alles ging
Dieses Buch lag schon länger bei mir bereit, aber nachdem ich erst vor einem Jahr Anatol Regniers Werk mit ganz ähnlicher Thematik gelesen und auch hier vorgestellt hatte, wollte ich erst einmal ein wenig Abstand gewinnen. Dabei sind, wie sich sofort bei der Lektüre herausstellte, die beiden Bücher grundverschieden. Der bekannte Journalist Wittstock hat hiermit aus meiner Sicht ein so hochspannendes wie aufwühlendes Geschichtsbuch vorgelegt. In einem einzigen Monat erlischt der literarische Glanz der Weimarer Zeit und weicht dem Winter der Literatur.
Rüdiger Safranski, Einzeln sein: Eine philosophische Herausforderung (2021)
Einzeln, vereinzelt, allein oder einsam?
Manche Titel passen exakt in die Zeit, in der man auf sie stößt. So ging es mir mit Rüdiger Safranskis aktuellem Buch über das Einzeldasein. Nach fast zwei Jahren mit Lockdowns, Quarantäne und anderen individuellen Übungen sind viele von uns sehr erfahren auf diesem Gebiet. Safranski führt in seinem neuen Werk anhand bedeutender Philosophen durch die Entwicklung des Individualismus.
Emily St. John Mandel , Das Licht der letzten Tage/Station Eleven (2014)
Was hat wirklich Bestand?
In der Zeit zwischen den Jahren, in denen außer Verwandtentreffen oft wenig passiert ist, war mir nach Spannung und Aufregung, so dass ich nach diesem bekannten Titel griff. Das Ziel, die Zeit zwischen diversen Familienterminen kurzweilig zu überbrücken, habe ich damit bestens erreicht. Diese postapokalyptische Geschichte kann aber viel mehr.
Die Kanadierin Emily St. John Mandel beginnt ihr hocherfolgreiches Werk auf einer Bühne, wo ein bekannter Schauspieler mitten in einem Shakespeare-Stück zusammenbricht und stirbt. Danach geht die Welt fast unter, denn ein Grippe-Virus vernichtet in ganz kurzer Zeit 99% der Erdbevölkerung.
Vicky Baum, Vor Rehen wird gewarnt (1954)
Alles nur Fassade
Wer liest heute noch Vicky Baum? Sicher nicht mehr viele, und ich hatte mich auch bis vor kurzer Zeit nie mit dieser Autorin beschäftigt, die ich nur von "Menschen im Hotel" kannte. Dabei war die Österreicherin in der Weimarer Republik sehr bekannt und erfolgreich. Sie wanderte 1932 in die USA aus, schrieb dann auf Englisch und geriet in Deutschland fast in Vergessenheit. Zu ihrem sechzigsten Todestag erschien dieser Roman in einer Neuausgabe.
Es werden fast 50 Jahre aus dem Leben der zart und zerbrechlich wirkenden, dabei jedoch äußerst berechnenden und egoistischen Angelica Ambros erzählt. Ann, das hübsche "Reh", wird in ihrer Kindheit und Jugend verhätschelt und ihr Manipulationstalent nur von wenigen Menschen durchschaut. Als ihre Schwester Maud ausgerechnet von dem von ihr angehimmelten Wiener Geigenvirtuosen Florian geheiratet wird, beginnt sie eine jahrelange Intrige.
Tove Ditlevsen , Die Kopenhagen-Trilogie (1967 - 1971)
Kein Talent zum Glück
Die drei schmalen Bände der Lebensgeschichte von Tove Ditlevsen liegen schon seit einer ganzen Zeit in den Buchhandlungen und werden viel besprochen. So machte ich mich in diesem Jahr daran, zunächst "Kindheit", nach einigen Wochen "Jugend" und mit einem Abstand von mehreren Monaten "Abhängigkeit" zu lesen. Die Tristesse der Kindheit ohne Liebe in einem Armenviertel Kopenhagens hatte mir so zugesetzt, dass ich erst einmal eine kleine Pause brauchte. Der zweite Band zeigte dann das gleiche trostlose Bild einer begabten Frau, die sich immer mit den falschen Männern verband. In "Abhängigkeit" wird sie dann zu allem Überfluss auch noch medikamentensüchtig.