Ich binde in mein Coachingangebot immer Leseempfehlungen ein und wende mich daher besonders an Menschen, die gerne lesen. An jedem ersten Freitag im Monat stelle ich in meinem Blog ein Buch vor. Das „Freitagsbuch“ kann ein Roman oder ein Fachbuch sein. Alle Bücher verbindet etwas: Sie drehen sich um Themen, die Menschen in Umbruchsituationen beschäftigen.
Bücher wirken inspirierend und die Leser nehmen etwas mit von den beschriebenen Verhaltensweisen, indem sie Ideen aufgreifen oder Fehler vermeiden. Da Literatur immer individuell wirkt, fühlt sich der Leser nicht von jedem Titel gleich stark angesprochen. Ich biete hier eine Auswahl meiner Lektüre an und hoffe, dass dadurch möglichst viele Leser ihre eigene Situation überdenken und in Ansätzen klären. Zudem wünsche ich den Lesern viel Vergnügen mit meiner Auswahl und immer wieder die beruhigende Erkenntnis, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Problemen.
Ich folge meinem persönlichen Bewertungssystem:
- 6 Bücher = einfach wunderbar
- 5 Bücher = unbedingt lesenswert für eine bestimmte Lesergruppe
- 4 Bücher = interessant für eine bestimmte Lesergruppe
- 3 Bücher = nischig, nur für eine bestimmte Lesergruppe
- 2 Bücher = unterhaltsam, aber nicht mehr
- 1 Buch = lieber etwas anderes lesen
Susann Sitzler, Geschwister: Die längste Beziehung des Lebens (2014)
Wie Pech und Schwefel?
Als die Liste der Nominierten für den Deutschen Buchpreis 2022 erschien, war es schon zu erahnen. Als daraus die short list von sechs Titeln wurde, wurde es glasklar: Das Thema Familie spielt in fast allen Werken eine große, wenn nicht die zentrale Rolle. Es geht den ausgewählten Autoren um Familienthemen aller Art, meistens über mehrere Generationen hinweg. Da scheint es mir passend, hier heute ein Buch vorzustellen, das sich der Thematik Geschwister widmet und das so ansprechend, dass der Leser unwillkürlich seine eigene Familienkonstellation durchdenkt, zumindest wenn er Geschwister hat.
Leïla Slimani, Dann schlaf auch Du/Chanson Douce (2016)
Das Schicksal schlägt im ganz banalen Alltag zu
Im Vorfeld der Buchmesse wurde ich auf den Besuch der französisch-marokkanischen Schriftstellerin Leïla Slimani in Frankfurt aufmerksam und suchte dieses Buch von ihr aus, für das sie 2016 den Prix Goncourt erhielt.
Es geht um eine ganz durchschnittliche Familie der Pariser Mittelschicht, in der beide Eltern arbeiten und die Betreuung ihrer zwei kleinen Kinder daher einem Kindermädchen anvertrauen. Die gut ausgebildeten Eltern Myriam und Paul schwanken ständig zwischen ihrem beruflichen Ehrgeiz und der Sorge um ihre Kinder. Zeitdruck und Überforderung sind für sie Normalität und so heißen sie das Kindermädchen Louise zunächst erleichtert willkommen. Als Louise, über die sie nur ganz rudimentäre Informationen einholen, sich als die perfekte Wahl zu entpuppen scheint, lassen sie sie immer mehr Raum in ihrem Haushalt einnehmen.
Martin Hecht, Die Einsamkeit des modernen Menschen: Wie das radikale Ich unsere Demokratie bedroht (2021)
Schadet Einsamkeit der Gesellschaft?
Manche Autoren stellen die richtigen Fragen, verrennen sich dann aber in für sie von Anfang an feststehende Antworten. Diesen Eindruck hatte ich bei diesem Titel über den modernen Individualismus, der aus der Perspektive des Publizisten Martin Hecht eine Gesellschaft der Selbstbezogenen geschaffen hat. Obwohl ich schon vor einiger Zeit Rüdiger Safranskis Einzeln sein: Eine philosophische Herausforderung (2021) hier vorgestellt habe, erscheint mir gerade nach der langen Pandemie die Vereinzelung und ihre Erforschung so wichtig zu sein, dass ich Hechts Sicht dazu hier beschreiben will.
Arno Geiger, Es geht uns gut (2005)
70 Jahre Geschichte
Der Hochsommer ist für viele eine Zeit, in der sie sich mit Familienmitgliedern treffen, die sie sonst nicht sehen. Dann werden alte Geschichten erzählt und oft entwickeln sich nach einigen Tagen unerwartete Dynamiken. Arno Geigers Roman über 70 Jahre (Familien-)Geschichte im August und dann auch noch auf einer Reise in Österreich zu lesen, entpuppte sich daher für mich als eine gelungene Idee.
Paula Carlin, Sternflüstern: Die Geschichte eines Neuanfangs (2021)
Mit viel Kitsch zum Bestseller
Bei brütender Hitze habe ich neulich diesen Sommerroman gelesen, da mich der zweite Teil des Titels "Die Geschichte eines Neuanfangs" interessierte. Zudem dachte ich, es könne nicht verkehrt sein, hier einmal ein Buch einer SPIEGEL-Bestsellerautorin vorzustellen. So begann ich also diesen Roman der Berliner Erfolgsautorin Paula Carlin alias Patricia Koelle, die schon etliche Erfolge zu Nord- und Ostsee sowie ihrer Stadt Berlin geschrieben hat. Es sollte darin um Begegnungen gehen, die das Leben verändern, ebenso wie um die Verarbeitung von Verlust, eigentlich also um relevante Themen. Eigentlich...