Ich binde in mein Coachingangebot immer Leseempfehlungen ein und wende mich daher besonders an Menschen, die gerne lesen. An jedem ersten Freitag im Monat stelle ich in meinem Blog ein Buch vor. Das „Freitagsbuch“ kann ein Roman oder ein Fachbuch sein. Alle Bücher verbindet etwas: Sie drehen sich um Themen, die Menschen in Umbruchsituationen beschäftigen.
Bücher wirken inspirierend und die Leser nehmen etwas mit von den beschriebenen Verhaltensweisen, indem sie Ideen aufgreifen oder Fehler vermeiden. Da Literatur immer individuell wirkt, fühlt sich der Leser nicht von jedem Titel gleich stark angesprochen. Ich biete hier eine Auswahl meiner Lektüre an und hoffe, dass dadurch möglichst viele Leser ihre eigene Situation überdenken und in Ansätzen klären. Zudem wünsche ich den Lesern viel Vergnügen mit meiner Auswahl und immer wieder die beruhigende Erkenntnis, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Problemen.
Ich folge meinem persönlichen Bewertungssystem:
- 6 Bücher = einfach wunderbar
- 5 Bücher = unbedingt lesenswert für eine bestimmte Lesergruppe
- 4 Bücher = interessant für eine bestimmte Lesergruppe
- 3 Bücher = nischig, nur für eine bestimmte Lesergruppe
- 2 Bücher = unterhaltsam, aber nicht mehr
- 1 Buch = lieber etwas anderes lesen
Laetitia Colombani, Der Zopf / La Tresse (2017)
Haben Haare doch etwas mit Würde zu tun?
Seit einem Jahr ist vieles anders, auch die Wahrnehmung des Friseurhandwerks in der Öffentlichkeit. Jedenfalls wird sehr viel darüber gesprochen und so wurden die Friseursalons noch vor den Schulen wiedereröffnet. Die Begründung, die ausgerechnet ein männlicher Politiker dafür vorbrachte, war, Haare hätten nicht nur mit Hygiene, sondern auch mit Würde zu tun. Das schien mir zunächst sehr übertrieben, doch dann fiel mir der Roman "Der Zopf" wieder ein, ein Debütroman, der in Windeseile zu einem internationalen Riesenerfolg und in fast 30 Sprachen übersetzt wurde. So kam ich dazu, dieses Buch zu lesen, in dem die Autorin Laetitia Colombani in drei Geschichten zeigt, dass Haare tatsächlich eine ganz große Rolle spielen können, z.B. wenn sie durch eine Chemotherapie ausfallen oder in einem Tempel geopfert werden.
Ayelet Gundar-Goshen, Löwen wecken (2014)
Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit und alles droht ins Wanken zu geraten
Israel ist derzeit durch seine effiziente Impfkampagne in aller Munde und viele richten den Blick auf dieses kleine Land mit seinem modernen Gesundheitssystem. So fiel mir dieser Roman auf, dessen Protagonist Etan Grien ein israelischer Neurochirurg ist. Er fährt nach einem langen Tag in der Klinik eines Nachts einen Mann aus Eritrea an. Dieser illegale Einwanderer wird sterben, wie Etan mit geübtem Blick sofort sieht, und keiner hat den nächtlichen Unfall beobachtet - zumindest scheint es so. Etan begeht Fahrerflucht, doch am nächsten Morgen steht die Frau des Eritreers vor seiner Tür und erpresst ihn. Er soll nachts Flüchtlinge in einer alten Werkstatt medizinisch versorgen oder sie wird seine Tat anzeigen. Etans Leben droht aus den Fugen zu geraten.
Ralf Rothmann, Hotel der Schlaflosen: Erzählungen (2020)
Elf Arten Angst
Auch nach einem Jahr Corona sprechen viele Menschen davon, dass sie Angst haben: Angst vor Ansteckung, vor wirtschaftlichen Verlusten oder immer neuen Mutationen mit unabsehbaren Auswirkungen auf unseren Alltag. Da fiel mir neulich dieser Erzählband von Ralf Rothmann zum Thema Angst in die Hände.
Diese Geschichten lassen den Leser nicht kalt. Sie gehen unter die Haut, gerade weil wohl jeder das Gefühl der Angst kennt, ob aus Kindertagen oder aus Ausnahmesituationen im Erwachsenenleben. Rothmann gelingt es, elf verschiedene Ängste so zu beschreiben, dass sofort spürbar ist, was die betroffenen Personen durchmachen. Dabei spannt er den Bogen von der Stalinzeit in der besonders erschütternden Titelgeschichte bis zur Jetztzeit.
Paul Maar, Wie alles kam: Roman meiner Kindheit (2020)
Das Beste ist der Schlusssatz
Ein Jahr Pandemie - man würde meinen, ein Jahr voller Lesen. Das kann man aber so generell nicht festhalten, da das vergangene Buchjahr nicht einfach zu analysieren ist. Klar ist jedoch, dass erheblich mehr Kinder- und Jugendbücher gekauft wurden als sonst: Im Jahr 2020 wurden 4,9% mehr Bücher in diesem Segment gekauft. Ein Grund mehr, sich hier einmal einem der beliebtestesn und bekanntesten Autoren dieses Bereichs zuzuwenden, Paul Maar. Vor wenigen Monaten erschien die Geschichte seiner Kindheit und das Buch wurde allgemein wohlwollend aufgenommen, was mich zunächst sehr verwundert hat. Selten habe ich ein Buch eines so bekannten Autoren gelesen, das derart schlicht geschrieben ist und eine Geschichte erzählt, die so typisch ist für eine ganze Generation.
Anatol Regnier, Jeder schreibt für sich allein: Schriftsteller im Nationalsozialismus (2020)
Ein schwieriges Thema gelungen bearbeitet
Vor einigen Wochen bekam ich überraschend diesen aktuellen Titel geschenkt, den ich mir wahrscheinlich nicht selbst gekauft hätte, zumindest nicht in der Pandemie. Denn ich vermutete düsteren Stoff dahinter, was nur zum Teil stimmt. Anatol Regniers Familiengeschichte ist eng mit der von Künstlern und Schriftstellern in der Zeit des Nationalsozialismus verwoben. Seine Großmutter Tilly war lange mit Gottfried Benn liiert und seine Mutter Pamela mit Klaus Mann verlobt und Schauspielerin unter Gustaf Gründgens.