Ich binde in mein Coachingangebot immer Leseempfehlungen ein und wende mich daher besonders an Menschen, die gerne lesen. An jedem ersten Freitag im Monat stelle ich in meinem Blog ein Buch vor. Das „Freitagsbuch“ kann ein Roman oder ein Fachbuch sein. Alle Bücher verbindet etwas: Sie drehen sich um Themen, die Menschen in Umbruchsituationen beschäftigen.
Bücher wirken inspirierend und die Leser nehmen etwas mit von den beschriebenen Verhaltensweisen, indem sie Ideen aufgreifen oder Fehler vermeiden. Da Literatur immer individuell wirkt, fühlt sich der Leser nicht von jedem Titel gleich stark angesprochen. Ich biete hier eine Auswahl meiner Lektüre an und hoffe, dass dadurch möglichst viele Leser ihre eigene Situation überdenken und in Ansätzen klären. Zudem wünsche ich den Lesern viel Vergnügen mit meiner Auswahl und immer wieder die beruhigende Erkenntnis, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Problemen.
Ich folge meinem persönlichen Bewertungssystem:
- 6 Bücher = einfach wunderbar
- 5 Bücher = unbedingt lesenswert für eine bestimmte Lesergruppe
- 4 Bücher = interessant für eine bestimmte Lesergruppe
- 3 Bücher = nischig, nur für eine bestimmte Lesergruppe
- 2 Bücher = unterhaltsam, aber nicht mehr
- 1 Buch = lieber etwas anderes lesen
Ali Smith, Es hätte mir genauso/There but for the (2011)
Einfach schräg
In einer Zeit voller Einschränkungen fühlen sich viele isoliert und leiden darunter. Dass es Menschen geben kann, die Kontakt freiwillig vermeiden und sich einer Gruppe entziehen, beweist dieser Roman. Er kam mir neulich wieder in den Sinn, als die nächste Runde von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bekannt wurde. Hier kommt ein Gast zum Abendessen und geht nicht mehr. Was ein netter Abend werden soll, führt zu einer Dauerblockade des Gästezimmers.
Ali Smith ist Schottin und hat bereits eine Reihe von Büchern geschrieben, die ihr in anderen Ländern bislang deutlich mehr Bekanntheit gebracht haben als in Deutschland. Dabei hat sie sehr ungewöhnliche Ideen, wofür auch dieser Roman ein Beispiel ist.
Laura Spinney, 1918 - Die Welt im Fieber: Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte/Pale Rider. The Spanish Flu of 1918 and How it Changed the World (2017)
Alles schon einmal dagewesen?
Das Phänomen „Spanische Grippe“ war bis vor kurzem nur in Fachkreisen näher bekannt und geriet erst durch die CORONA-Krise plötzlich in den Fokus. Als die britische Wissenschaftsjournalistin und Romanautorin Laura Spinney 2017 dieses Buch veröffentlichte, war noch nicht zu ahnen, wie wichtig ihre Erkenntnisse bald werden würden. Spinney legte ein sehr umfangreiches Werk vor, in dem es um die Auswirkungen der Spanischen Grippe überall auf der Welt und in allen Lebensbereichen ging.
Anne Reinecke, Leinsee (2018)
Leuchtende Farben gegen den Herbstblues
Wir leben in einer Zeit ständiger schlechter Nachrichten und so habe ich mich heute dazu entschieden, hier etwas bewusst Positives vorzustellen. Zudem erfreut mich eine Zahl, die im Rahmen der Frankfurter „Buchmesse“ fiel, wenn man diese Veranstaltung so nennen kann. Hatte das Minus des Buchhandels und der Verlage direkt nach dem Lockdown noch bei 15% gelegen, so sind es jetzt nur noch 4,3 % im Verhältnis zum Vorjahreszeitraum. Ein Grund mehr, sich an der Literatur zu erfreuen, und hier kommt mein heutiger Beitrag dazu.
Der junge Künstler Karl ist früh bekannt geworden und hat bereits große Erfolge gefeiert. Dabei hat er bewusst seine Herkunft verschwiegen: Seine Eltern sind das exzentrische Künstlerpaar August und Ada Stiegenhauer. Vater und Mutter waren immer so auf sich und ihre Kunst fixiert, dass für Karl kein Platz war und er in Internate abgeschoben wurde. Sein Verhältnis zu seinen Eltern ist entsprechend schlecht und er sieht sie kaum noch.
Rüdiger Safranski, Hölderlin: Komm! ins Offene, Freund! – Biographie (2019)
Ein Leben voller Brüche: Talent, Rastlosigkeit, Krankheit und späte Würdigung
Ich nehme den 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins hier zum Anlass, eine aktuelle Biographie zu diesem großen deutschen Klassiker vorzustellen. Hölderlin war Einzelgänger und lange recht unbekannt. Er wurde erst spät entdeckt und angemessen gewürdigt. Der deutsche Philosoph, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Rüdiger Safranski hat in der Vergangenheit bereits viel beachtete Werke zu anderen großen Dichtern vorgelegt. 2019 erschien dieses Buch rechtzeitig zum Jubiläumsjahr.
Safranski beginnt seine Darstellung ganz klassisch mit der Herkunft des Dichters: Hölderlin entstammte der schwäbischen „Ehrbarkeit“, dem gehobenen Mittelstand, aus dem die evangelische Landeskirche ihren Nachwuchs rekrutierte. So lag es nahe, dass Hölderlins Mutter, selbst Pfarrerstochter, für ihn das Theologiestudium als den logischen nächsten Schritt nach Latein- und Klosterschule vorsah. Im Tübinger Stift lernte Hölderlin Hegel und Schelling kennen, eine für alle drei entscheidende Begegnung. Nach dem Studium ging Hölderlin den vorgeschriebenen Weg dann nicht weiter, sondern nahm eine erste Stelle als Hauslehrer an.
Julian Barnes , Vom Ende einer Geschichte/Sense of an Ending (2011)
Was für ein Ende!
Der englische Schriftsteller Julian Barnes erhielt mehrere Preise für diesen kurzen Roman in zwei Teilen, der bereits verfilmt wurde. Zunächst berichtet der Ich-Erzähler Tony Webster von seiner Schulzeit mit seinen Freunden Alex und Colin, zu denen der frühreife Adrian hinzustößt. Die Jugendlichen stellen den klassischen Lernstoff in Frage und geben allerlei kluge Kommentare von sich. Die Freunde stehen sich über Jahre sehr nahe, leben sich nach der Schule jedoch auseinander. Adrian erhält ein Stipendium für Cambridge und Tony studiert in Bristol Geschichte, wo er seine Freundin Veronica kennenlernt. Sie ist so schwer durchschaubar wie kapriziös und ein bei ihren Eltern verbrachtes Wochenende wird Tony immer in Erinnerung bleiben.