Deniz Ohde (2021), Streulicht

Über das Thema Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem wird viel geschrieben, ist doch offenbar gerade das deutsche System besonders undurchlässig. So erschien mir der Debütroman von Deniz Ohde genau zu diesem Thema zunächst wenig attraktiv. Dennoch habe ich ihn mir vorgenommen, denn er steht in diesem Jahr im Zentrum des Frankfurter Lesefests "Frankfurt liest ein Buch".

Die junge Ich-Erzählerin erfüllt als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund gleich mehrere Erfolgskriterien des aktuellen Literaturbetriebs. Sie wächst in einem  tristen Umfeld zwischen Industrieschnee und leichter Säure in der Luft auf. Ihr Vater, der sein gesamtes Berufsleben im Industriepark arbeitet, trinkt und hat vor allem Angst. Ihre Mutter sieht sich in ihrem Versuch, der Enge ihrer türkischen Heimat zu entkommen, angesichts der Beschränktheit der Verhältnisse in ihrer Ehe in Deutschland vom Leben enttäuscht.

Die Erzählerin ist unsicher, verhält sich bewusst unauffällig und bleibt oft stumm. Sie wird von allen - auch innerhalb ihrer Familie - unterschätzt und in der Schule wiederholt diskriminiert. Sie verlässt die Schule ohne Abschluss, hat dabei jedoch ein so erstaunliches wie ehrgeiziges Ziel, an dem sie festhält: Sie will Schriftstellerin werden. So macht sie auf dem zweiten Bildungsweg Abitur und studiert an der Universität Leipzig Germanistik. Im Roman besucht sie Jahre nach ihrem Auszug ihren Vater, um an der Hochzeit ihrer Jugendfreunde in Höchst teilzunehmen. 

Deniz Ohde stellt in spröder Sprache mit einem gewissen Fatalismus die Welt, aus der sie ebenso wie ihre Protagonistin stammt, sehr greifbar dar. Der Leser hat die übervolle Wohnung des Vaters klar vor Augen, ebenso das schmutzige Treppenhaus und das kalte Licht der Industrieanlage, das Streulicht. Auch als die Heldin ihre miefige Herkunft hinter sich lässt und ihren Weg geht, wird daraus keine strahlende Aufsteigergeschichte. 

Das mehrfach preisgekrönte Buch erzählt von einem jungen Menschen, der mit einem klaren Ziel vor Augen seinem Ursprungsmilieu entwächst und sich positiv entwickelt. Es kann Mut machen und vielleicht liegt darin der eigentliche Beitrag dieses für meinen Geschmack zu larmoyanten und über weite Strecken von Passivität und Opferhaltung geprägten Romans. 

(16.06.2023)