Wenn ein Roman über sechzig Jahre nach seinem Erscheinen neu übersetzt, von Karl Ove Knausgård als der "beste norwegische Roman aller Zeiten" bezeichnet und von Judith Herrmann mit einem Nachwort versehen wird, sind das drei gute Gründe, sich ihm zuzuwenden. Tarjei Vesaas beschreibt in Die Vögel die norwegische Landschaft an einem stillen See durch die Brille eines Sonderlings und liefert damit eine berührende Sommerlektüre.
Dem Leser wird das Leben des einfältigen Mannes Mattis und seiner Schwester Hege in großer Ruhe und Ausführlichkeit vorgestellt. Es passiert zunächst wenig und die Konstellation ist klar: Die Schwester versorgt ihren Bruder und verdient durch Stricken genug, um mit dem oft rührenden Mattis in einer Hütte an einem See mitten in der Natur zu leben. Mattis' Versuche, sich im Dorf nützlich zu machen, scheitern, da er sich nicht konzentrieren kann und daher keinen Beitrag zum gemeinsamen Haushalt leisten kann.
Alles wird anders und für Hege schöner, als plötzlich der Holzfäller Jorgen auftaucht und sie sich in ihn verliebt. Mattis spürt die Veränderungen und kann nicht mit ihnen umgehen, was ihn schließlich zu einer riskanten Aktion veranlasst.
Mattis ist fantasievoll wie ein Kind und erkennt überall Zeichen, die seine Umgebung ignoriert. Er versucht, sich anderen zu erklären, erfährt jedoch meistens Unverständnis und Ablehnung. Das eigentlich Besondere an diesem Roman ist neben den starken Naturbeschreibungen, wie sich dem Leser durch den Perspektivwechsel Mattis' Welt nach und nach erschließt - ein Blick, der sich lohnt.
(30.06.2023)