Tonio Schachinger, Echtzeitalter (2023)

Der deutsche Buchpreis ging in diesem Jahr an den Österreicher Tonio Schachinger für seinen Gesellschaftsroman Echtzeitalter. Da der Ausschnitt, den der Autor im Frankfurter Schauspielhaus neulich vorlas, vielversprechend klang, habe ich ihn mir direkt vorgenommen und mich damit nach Wien versetzt.

Der Held dieses Schulromans ist der eher unauffällige Till, der sich in einem elitären Wiener Internat zurechtfinden muss, dessen Vorbild das Theresianum ist, das Schachinger als Diplomatenkind selbst besucht hat. In Interviews äußert der Autor sich recht scharf zur Diskrepanz zwischen dem gesellschaftlichen Ansehen dieser elitären Schule, die als Sprungbrett in die feine Gesellschaft Österreichs fungiert, und deren tatsächlichem akademischen Anspruch.

Tills Klassenlehrer errichtet ein wahres Schreckensregime mit unzähligen Verboten und Strafen, so dass Till sich nach dem frühen Tod seines Vaters in eine Parallelwelt rettet, das Gaming. Er wird darin so erfolgreich, dass er sogar nach China eingeladen wird und ihn dort Spieler aus der ganzen Welt um Autogramme bitten. In seiner Schule hingegen wird sein Hobby von den Lehrern strikt abgelehnt und zu Hause von seiner Mutter nicht richtig verstanden, bis Till ihr einmal in Ruhe zeigt, was er da eigentlich macht.

Es geht in diesem Roman neben vielen sehr repetitiven Szenen in der Raucherecke, ständigen Partys mit Alkohol und Drogen und einer ersten Liebe darum, wie ein Individualist sich immer wieder dem Diktat seiner Lehrer und der Verständnislosigkeit seiner Mutter entzieht. Es finden sich starke Passagen, in denen der Leser, der nicht Tills Generation entstammt, erfährt, wie wichtig das Eintauchen in eine andere Welt für die Spieler sein kann. Eine wertende Gegenüberstellung der Bücher der lesenden, mehrheitlich älteren Generation und der Spiele der digital natives entfällt dabei.

Das Ganze wird noch bereichert durch die Ibiza-Affäre, die im Hintergrund durchs Bild wabert, und Corona. So entstehen im Endeffekt fast 400 Seiten, die ganz unterschiedliche aktuelle Gesellschaftsthemen nicht nur in Österreich bedienen und somit sicher viele Leser ansprechen.

 

(10.11.2023)