Obwohl er ganz große Teile seines Lebens in München verbracht hat, hat nichts ihn so sehr fasziniert, inspiriert und auch beruhigt, wie der Bick aufs Meer. Zumindest behauptet das der Literaturkritiker Volker Weidermann in seinem Buch zur besonderen Beziehung von Thomas Mann zum Meer. Er belegt diese Behauptung in der chronologischen Betrachtung von Manns Leben und Werk mit zahlreichen Zitaten und biographischen Details.
Wenn man an Thomas Mann denkt, sieht man vor seinem inneren Auge wohl immer den perfekt gekleideten Herrn in Anzug und Hut, der streng oder zumindest konzentriert in die Kamera blickt. Nicht so die Aufnahmen vom Meer: Beim Blick auf Wellen und Strand ist ein anderer, ein milder, entspannter und gelöster Thomas Mann zu sehen. Die vielen Aufenthalte am Meer, die er in sein Leben einbaute, scheinen ihn beglückt und vom selbst auferlegten strikten Arbeits- und Lebensrhythmus befreit zu haben. Weidermann argumentiert - aus meiner Sicht etwas penetrant - immer wieder damit, dass er sich nur am Meer erlaubt habe, sich in junge Männer zu verlieben und auch in diesem Sinne frohe Sommermonate zu verleben. Vielleicht war dem so, vielleicht auch nicht. Wir wissen es nicht. Entscheidend ist jedenfalls, dass sich in vielen Werken und Figuren Manns - wie beispielsweise in Hanno Buddenbrook - die Liebe zum Meer findet.
Als weltberühmter und hocherfolgreicher Autor ist Mann viel im Leben gereist und konnte zahlreiche Meere aus der Nähe sehen. Dennoch scheint er im Grunde seines Herzens die Ostsee immer als "sein" Meer empfunden zu haben. Selbst wer nicht ausgesprochen gerne Thomas Mann liest, findet in Weidermanns sorgfältig recherchiertem Band eine ganze Reihe hochinteressanter Betrachtungen zum Meer, nicht zuletzt mit Blick auf die Arbeit der jüngsten Mann-Tochter Elisabeth, die ihr gesamtes Berufsleben dem Erhalt und Schutz der Meere gewidmet hat.
(19.04.2024)