Wie Kommunikation misslingt, erleben wir derzeit ständig auf der großen Bühne. Wenden wir unseren Blick lieber auf jemanden, der ganz groß, ganz umfassend, ganz sorgfältig und vor allem ganz viel kommuniziert hat: Siegfried Unseld. Wer sich von der Frankfurter Bürgerstiftung durch die Ausstellung zum 100. Geburtstag des großen Verlegers führen lässt, steht sprachlos davor, wie ein einziger Mensch so intensiv mit so vielen Zeitgenossen weltweit im Austausch stehen konnte. Und das per Brief. Aber zurück zum Anfang.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Siegfried Unseld erschien eine Auswahl von 100 aus der unfassbaren Fülle von über 50.000 Briefen des Verlegers. Ja, richtig gelesen: über 50.000 Briefe hat Unseld im Rahmen seiner rastlosen Tätigkeit über Jahrzehnte verfasst. Er entdeckte schon im Studium Briefe für sich als wichtige Arbeits- und Lebensform. Er schrieb unaufhörlich Briefe, um seine ständig sprudelnden Ideen festzuhalten, Kontakte aufzubauen und Freundschaften zu pflegen. Briefe waren DAS Mittel für ihn, um sich mitzuteilen und zu arbeiten.
In der vorliegenden Sammlung kommt der Leser aus dem Staunen nicht heraus, mit wem Unseld wie kommunizierte. Um nur ganz wenige Personen herauszugreifen, seien hier solch schillernde Namen aus dem Literaturbetrieb wie Hermann Hesse, Martin Walser, Ingeborg Bachmann und Max Frisch genannt, die so beiläufig fallen wie die berühmter Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben wie Helmut und Loki Schmidt, Theodor W. Adorno und immer wieder Henry Kissinger. Ganz großen Raum nimmt auch die Korrespondenz mit seinem „Vorgänger“ Peter Suhrkamp ein, den er – wie sollte es anders sein – zunächst schriftlich kennen lernte. Viel später sollte er Suhrkamp folgen, den Verlag 1959 selbst übernehmen und bis zu seinem Tod 2002 leiten.
Unseld beschäftigte sich früh mit verfolgten jüdischen Autoren wie Benjamin, Bloch und Sachs, mit lateinamerikanischer und osteuropäischer Literatur und wurde dadurch ein rastloser, international tätiger Geschäftsmann. Dabei legte er immer weiter größten Wert auf seine Korrespondenz. Das eigentlich Faszinierende an dieser Sammlung ausgewählter Briefe ist die menschliche Nähe, die aus allem spricht. Er geht ungeheuer detailorientiert und sorgfältig auf seine Adressaten ein. Dem Leser ist über ganz weite Phasen schleierhaft, wie er jemals die Zeit und Freiheit finden konnte, derart viel zu korrespondieren. Natürlich hatte er Jahrzehnte eine begnadete Assistentin und benutzte diverse Diktiersysteme. Dennoch ist offensichtlich, dass es kaum je freie Abende, Tage oder gar Wochenenden für ihn gegeben haben kann.
Auch wenig glanzvolle Punkte schimmern durch in der Korrespondenz: Unselds intellektuelles Interesse galt meist Männern, er besaß ein ganz starkes Machtbewusstsein und verstand rein gar nichts von Technik. Das alles nimmt den Briefen nichts von ihrer Schlagkraft. Es geht hier schließlich nicht darum, ein Briefe schreibendes Genie vorzuführen, sondern zu zeigen, wie gute, menschenorientierte Kommunikation Brücken bauen und Großes schaffen kann. Das ist für mich das eigentlich Überzeugende an dieser Sammlung.
(07.03.2025)