J.R. Moehringer, Tender Bar/The Tender Bar: A Memoir (200

Wohin in  Zeiten wie diesen, in denen schlechte Nachrichten überwiegen und Zukunftsängste sich breitmachen? Vielleicht in eine Bar? Wenn man dieses Werk des Pulitzer-Preis-Gewinners von 2000 J.R. Moehringer liest, scheint einem das gar keine so abwegige Idee. Dem Protagonisten dieses amerikanischen Romans gefällt es dort jedenfalls seit Kindertagen und wir erfahren von seinem Leben immer auch durch das, was er in der Bar davon erzählt.

Der kleine J.R. wird auf Long Island ohne Vater groß und wählt schon früh im Leben die Bar als seinen Lieblingsort aus. Dort lernt er - und auch der Leser - viele ungewöhnliche und skurrile Menschen kennen, die ihn begleiten und ihm mit ihren Lebensweisheiten zur Seite stehen. Besonders wichtig ist sein buchverrückter Onkel, der ihn immer wieder zum Lesen bringt. Auch zu Hause, wo er im Kreise seiner großen Familie in einem recht verkommenen Haus lebt und immer genau die Stimmungen seiner krisengeschüttelten Mutter beobachtet, ist er von echten Typen umgeben. Das führt zu vielen amüsanten und auch nachdenklich machenden Szenen, die im Gedächtnis bleiben. 

Als J.R. größer wird und wider Erwarten tatsächlich ein Stipendium für Yale erhält, wird der Roman immer repetitiver und das endlose Auf und Ab der jahrelangen Beziehung zu seiner Freundin wirkt ebenso ermüdend wie seine regelmäßig scheiternden sozialen Aufstiegsversuche.

Dieser Entwicklungsroman war ein gewaltiger Erfolg in den USA, was sich mir beim Lesen nicht ganz erschloss. Auch dass das Buch 2021 von George Clooney verfilmt wurde, macht es in meinen Augen nicht besser. Vielleicht hätte ich beim Lesen immer mal in eine Bar gehen sollen, um nachzuspüren, was man dort lernen kann? Möglicherweise ist der Titel auch besonders für Menschen interessant, die mit nur einem Elternteil aufgewachsen sind und sich daher mit J.R. identifizieren können.

(06.05.2022)