Annette Kehnel, Wir konnten auch anders: Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit (2021)

Das Mittelalter war bisher kein Thema, mit dem ich mich besonders intensiv beschäftigt habe, da ich damit immer gleich Adjektive wie „dunkel“, „finster“ etc. verband. Dann besuchte ich im Literaturhaus Frankfurt eine Buchvorstellung mit Annette Kehnel und lernte ein völlig anderes Mittelalter kennen, das ganz viel mit unserer Gegenwart und Zukunft zu tun hat.

Annette Kehnel ist Historikerin und lehrt Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mannheim. Vor einiger Zeit hat sie mit ihrer „Kurzen Geschichte der Nachhaltigkeit“ ein Buch geschrieben, das zeigt, wie sehr sich ein Blick in die Vergangenheit lohnt, um zu verstehen, wie die Menschen damals mit Ressourcen umgegangen sind. Frau Kehnels lebhafter und intensiver Vortragsstil ist weit weg von klassischen professoralen Geschichtsvorlesungen. Sie sprüht vor Begeisterung für ihr Thema und so steckt auch ihr Buch mit der Grundüberzeugung an, dass wir nur zurückschauen müssen, um Ideen für die Zukunft zu finden.

Das Buch umfasst über 400 Seiten reinen Text und ist oft sehr detailliert geschrieben. Dabei wird es jedoch nie langweilig, da vieles den Leser überrascht. So scheinen beispielsweise Kapitelüberschriften wie Sharing, Recycling und Minimalismus auf den ersten Blick nichts mit unserer Vorstellung vom Leben im Mittelalter zu tun zu haben. Wir betrachten die Vergangenheit fast ausschließlich durch die Brille der Moderne und verharren dabei im 19. Jahrhundert, als sich alles um Fortschritt, Wachstum und Wohlstand drehte. Dabei gab und gibt es zu diesen Kenngrößen so viele Alternativen.

Dass sich heute viele nicht mehr mit einem rein konsumorientierten Lebensstil im Überfluss identifizieren und ihr Leben auf das Wesentliche reduzieren wollen, beweisen nicht zuletzt die Beliebtheit von tiny houses, Aussortierungsprogramme aller Art oder auch Ansätze zum Teilen von Autos, Rollern, Wohnungen etc. Das alles ist nicht neu und führt uns zurück zu erprobten Entwürfen, die oft viele Jahrhunderte alt sind. 

Wer sich dafür interessiert, wie eine neue Blickrichtung, nämlich eine Beschäftigung mit den Lebensformen der Menschen vor der industriellen Revolution, uns zukunftstaugliche Rezepte an die Hand geben kann, dem kann ich dieses kluge Buch nur sehr empfehlen.

(01.07.2022)