Muriel Barbery, Die letzte Delikatesse / Une gourmandise (2000)

 
 
Was macht ein sehr erfolgreicher Gastrokritiker, wenn er von seinem Arzt erfährt, dass ihm nur mehr zwei Tage zum Leben bleiben? Diese ungewöhnliche Frage ist das Thema des ersten Romans der in Marokko geborenen französischen Autorin Muriel Barbery. Sie beschreibt in ihrem Überraschungserfolg, wie der Protagonist seine letzten Stunden damit verbringt, sich an die leiblichen Genüsse seines Lebens zu erinnern. Ein Genuss ist ihm dabei besonders im Gedächtnis, nur kann er ihn kaum identifizieren. Er versucht stundenlang erfolglos, sich dieser Speise zu entsinnen, um sie vor seinem Tod noch einmal zu kosten. In zahlreichen kurzen Kapiteln nehmen derweil einzelne Personen aus seiner Familie und Umgebung Stellung zu ihm. Es wird dem Leser immer klarer, dass er vor allem Genussmensch war und sich mit seiner Frau und seiner Familie wenig befasst hat. Entsprechend niederschmetternd fallen die Aussagen seines Umfeldes zu ihm aus. Es entsteht das Bild eines Egomanen, der einzig für das Essen gelebt hat. 
 
Der eigentliche Clou dieses aus meiner Sicht urfranzösischen Buchs liegt wohl darin, dass die Proustsche Erfahrung hier umgedreht wird: Nicht die Madeleine lässt Bilder aus der Vergangenheit wieder aufleben, sondern der Esser versucht umgekehrt, einer Geschmackserinnerung eine Speise zuzuordnen.
 
Und was war nun diese berühmte Speise, die den Meister der Kulinarik so beeindruckt hat? Wer dem in der Lektüre nachgeht, wird eine große Überraschung erleben, die auch damit zu tun hat, dass sich - wie so vieles im Laufe des Lebens - auch der Geschmack sehr verändert. 
 
(23.08.2024)

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