David van Reybrouck, Gegen Wahlen: Warum Abstimmen nicht demokratisch ist (2013)

Wer derzeit auf deutschen Straßen unterwegs ist, sieht sie überall, die zum Teil riesigen Wahlplakate, mit denen die Parteien um die Gunst der Wähler buhlen. Die meisten von ihnen sind inhaltsarm oder sogar -los und man fragt sich, was diese großflächigen Aushänge eigentlich bringen sollen. Die ständigen Interviews der Spitzenpolitiker in den Medien sind genauso wenig erhellend wie die Wahlkampfspots der Parteien. Manche versuchen es mit Humor, manche mit nur einem Wort, wieder andere fokussieren sich auf einen Gegner. Wer echte Inhalte sucht, muss – wie immer – zu den Parteiprogrammen greifen und findet dort das ganz große Wunschkonzert: gewaltige Versprechungen, völlig unrealistische Verteilungsideen und vor allem astronomische Summen, die in den nächsten Jahren ausgegeben werden sollen. Wenn das alles das ist, wozu Wahlen in einer Demokratie angesichts stetig abnehmender Wahlbeteiligung fähig sind, scheint mir die Frage nach Alternativen zu Wahlen legitim. So kam ich zu diesem Buch.

Die Demokratiemüdigkeit wächst überall in Europa und schier endlos scheinende Koalitionsverhandlungen ziehen die Regierungsbildungen immer mehr in die Länge. Die Politik braucht daher deutlich mehr Zeit für Entscheidungen und deren Umsetzung, was wiederum zu mehr Unzufriedenheit führt. Der belgische Historiker und Archäologe David van Reybrouck hat drei Jahre hierzu recherchiert, bevor er sein Buch mit dem provokativen Titel Gegen Wahlen auf den Markt brachte, das schon 2016 auf Deutsch erschien und seitdem nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat.

Der Autor hinterfragt das Prinzip der Wahlen insgesamt. Er sieht in ihnen die Gefahr des Zeitverlustes, da das Schielen nach dem Wähler schon wenige Jahre nach einer Wahl die Konzentration von der eigentlichen Politik auf den nächsten Wahltermin lenke. Er sucht daher nach anderen Verfahren, die das Prinzip Demokratie neu beleben könnten, und landet beim schon im alten Athen praktizierten Losverfahren, bei dem Bürger aktiv - etwa in einer Bürgerkammer - an Entscheidungsprozessen und der Formulierung von Gesetzestexten mitwirken könnten. Dabei werden Losverfahren zur Auswahl der Entscheidungsträger angewendet und zwar nicht nur zufällig, sondern auch statistisch-repräsentativ, sodass die Zusammensetzung der ausgelosten Teilnehmer der Gesamtheit entspricht. Van Reybrouck geht so weit zu sagen, dass das Losverfahren die Grundlage werden sollte und nicht die Wahl.

Das Ganze liest sich erstaunlich mühelos, wirkt wie ein längerer Essay in vier Teilen mit medizinischen Metaphern als Überschriften. Er überzeugt dabei durch eine straffe Gedankenführung und einen sachlichen Ton. Wieso nicht einmal über neue Möglichkeiten und Wege innerhalb der Politik nachdenken? Die Gedanken sind frei und können Neues hervorbringen. Wer sich dieser Grundidee anschließen kann, wird sich von dem schmalen Band sicher gerne inspirieren lassen. 

(07.02.2025)