Juli Zeh, Neujahr (2018)

Wenn Neujahr auf einen Freitag fällt, der haargenau in meinen 14-Tage-Rhythmus passt, dann führt für mich kein Weg an diesem Buch vorbei. Juli Zeh ist seit vielen Jahren außerordentlich erfolgreich und durch Bestseller wie Unterleuten, Schilf und – derzeit besonders häufig erwähnt – Corpus Delicti: Ein Prozess sehr vielen Lesern bekannt. Die promovierte Juristin ist politisch engagiert, Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg und Mutter von zwei Kindern. Das klingt nach jemandem, der stark beschäftigt ist. So geht es auch dem Protagonisten von Neujahr.

Henning ist ein moderner Vater, der sich mit seiner Frau die Haus- und Familienarbeit teilt. Beide sind berufstätig und haben kleine Kinder. Seit der Geburt des zweiten Kindes überschatten Panikattacken Hennings Leben und er kommt nicht mehr zur Ruhe. Während eines Urlaubs auf Lanzarote bricht er am Neujahrsmorgen mit dem Rad auf, um etwas allein zu sein. Er quält sich stundenlang einen Berg hinauf und erreicht ein einsames Haus. Dort wird ihm schlagartig klar, dass er als Kind schon einmal auf der Insel war.

Der Roman wird von manchen Kritikern so gelesen, als ginge es darum, einen emanzipierten Mann zu zeigen, der mit Erwartungen von allen Seiten umgehen muss und dabei selbst zu kurz kommt. Das mag eine Interpretationsmöglichkeit sein. Mich interessiert jedoch mehr, was er über seine Kindheit herausfindet, und was das mit seiner seelischen Verfassung zu tun hat. Besonders Menschen, die Vorkommnisse aus ihrer frühen Vergangenheit nicht richtig aufgearbeitet haben, können hier möglicherweise sehen, wie befreiend eine solche Auseinandersetzung sein kann.

(1.1.2021)