Richard Russo, Jenseits der Erwartungen/Chances are (2019)

Jahrzehnte nach ihrem Collegeabschluss treffen sich drei Studienfreunde auf Martha’s Vineyard, um gemeinsam ein Wochenende zu verbringen. Sie sind in den vergangenen 45 Jahren ganz unterschiedliche Wege gegangen und für keinen von ihnen ist alles so gekommen, wie er es sich vorgestellt hatte. Alle drei waren bei ihrem gemeinsamen Ausflug im Jahr 1971 in dasselbe Mädchen verliebt, das damals spurlos verschwand.

Aus wechselnder Perspektive erzählt Russo das Wiedersehen der Freunde in der Gegenwart, beschreibt ihre aktuellen Lebensumstände in verschiedenen Teilen des Landes und berichtet in Rückblenden von den Ereignissen in den 70er Jahren. Der Vietnamkrieg taucht immer wieder im Hintergrund auf mit seinen Schrecken und Verlusten. Einer der drei Freunde ist damals nach Kanada geflohen, um seinem Einsatz im Krieg zu entgehen. Seine Flucht und das Verschwinden des Mädchens werfen eine Menge Fragen auf, deren Lösung dem Leser viel über das Leben der Hauptpersonen in den USA zeigt. Wie in seinen anderen Romanen sind Russos Figuren auch hier keine strahlenden Helden, sondern Menschen, die sich nach Schicksalsschlägen mit ihrem Leben arrangiert haben und versuchen, in schwierigen Familienkonstellationen und in der Auseinandersetzung mit ihren Vätern ihren Weg zu finden. 

Ich war vom ersten Kapitel an gebannt von dieser Geschichte und wollte unbedingt wissen, was damals geschehen ist. Zudem frage ich mich, wie typisch die zerrissenen Figuren für das heutige Amerika sind. Auf jeden Fall kann ich diesen Roman Menschen empfehlen, die sich mit ihren Erwartungen befassen und Bilanz ziehen wollen.

(18.06.2021)