Bei allem, was uns seit dem vergangenen Jahr bezüglich Politik und Gesundheit umtreibt, treten private Themen eher in den Hintergrund. Um dem bewusst entgegenzuwirken, griff ich neulich nach diesem Roman über eine schwangere Opernsängerin. Die österreichische Autorin Andrea Grill ist eine vielseitig begabte Frau mit international erworbener Erfahrung auf so unterschiedlichen Feldern wie Biologie und Linguistik. Als Vorbereitung auf diesen Roman hat sie intensive Gespräche mit Opernsängerinnen geführt, um sich in die Welt der Oper und der Stimme einzufühlen, was ihr hervorragend gelungen ist.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die fast 40-jährige Mezzosopranistin Iris Schiffer. Sie bereitet sich zwischen zwei Männern sowie Auftritten auf Ibiza und in Wien auf ihren großen internationalen Durchbruch als Cherubino in der Hochzeit des Figaro an der Met vor. Sie führt ein bewegtes und durchaus schillerndes Leben und ist sehr glücklich, als sie ihre Schwangerschaft feststellt.
Wer schon einmal schwanger war, kennt die Euphorie, die sich einstellen kann, wahrscheinlich genauso gut wie die unrealistischen Vorstellungen davon, was bis zur und kurz nach der Geburt beruflich zu erreichen ist. So plant Iris, kurz vor dem errechneten Geburtstermin in Salzburg eine Hauptrolle zu singen. Was sie erlebt, als sich ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen lässt und die Nachricht langsam durchsickert, ist zunächst recht ernüchternd.
Dieser Roman ist sehr facettenreich und fasziniert durch seinen Blick hinter die Kulissen ebenso wie durch die Schilderung des Alltags einer Profisängerin. Auch beschreibt Grill die emotionale Erfahrung der Schwangerschaft für die späte Mutter durchaus gelungen. Ich würde diesen Roman, der mir zu meinem nachträglichen Erstaunen von einem Mann ans Herz gelegt wurde, noch viel ausdrücklicher empfehlen, wenn ich noch mehr über die Oper und etwas weniger über Liebesszenen in Hotelzimmern hätte lesen können. Aber hier ist jeder aufgerufen, sich seine eigene Meinung zu bilden.
(19.11.2021)