George Orwell, Tage in Burma/Burmese Days (1934)

Seit Jahren wird intensiv über den Kolonialismus diskutiert, meistens von Menschen, die keinen persönlichen Bezug zu den ehemaligen Kolonien haben. Daher suchte ich neulich einen Titel von jemandem, der tatsächlich selbst jahrelang in verschiedenen Kolonien gelebt hat, und wurde bei George Orwell fündig. Er wurde 1903 in Britisch-Indien geboren und arbeitete fünf Jahre lang als britischer Offizier in Burma.

Orwell geht in seiner Aufarbeitung seiner Kolonialerfahrung in seinem ersten Roman Burmese Days hart mit dem Imperialismus in Burma ins Gericht. Er beschreibt die sich möglichst oft im Club aufhaltenden Briten als eine ebenso bornierte wie rassistische und dem Alkohol sehr zugetane Gesellschaft. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Verlage das Buch in England ablehnten und es zunächst in den USA erschien: Die Kritik am britischen Verhalten in Burma war zu massiv und die Ähnlichkeit der beschriebenen Charaktere zu echten Personen zu offensichtlich, so dass entschärfende Maßnahmen am Text nötig waren, um eine Veröffentlichung in England schließlich zu ermöglichen.

Die Ähnlichkeiten zwischen dem Protagonisten, dem Teakholzhändler John Flory, und dem jungen Orwell sind nicht zu übersehen. Flory zieht sich durch sein Verhalten den Argwohn der anderen Briten in dem fiktiven burmesischen Ort zu, in dem die Handlung spielt: Er nimmt nicht automatisch eine überhebliche Haltung den Einheimischen gegenüber ein, sondern interessiert sich für deren Lebensart und Kultur. Er versucht, die Denkweise der anderen Briten zu verändern und ihren Blick zu weiten. Sein einziger echter Freund ist der indische Arzt des Ortes, der kurioserweise ausgeprägt pro-britisch eingestellt ist. Als ein Komplott gegen den Arzt inszeniert wird, gerät Flory schnell in den Strudel der Ereignisse.

Der Leser ahnt früh in diesem packenden Roman vor exotischem Hintergrund, dass es für den Außenseiter Flory übel enden wird, als er sich zudem unglücklich verliebt und durch seine unentschlossene Art viele Chancen vertut.

Wer sich einmal in Ruhe damit beschäftigen will, was ein Zeitzeuge in einer Kolonie erlebt hat und wie schwer es offenbar war, sich als Einzelperson gegen gängige Verhaltensmuster durchzusetzen, dem kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen.

 

(17.06.2022)