Heinz Strunk, Ein Sommer in Niendorf (2022)

 

Unter den Nominierungen für den Deutschen Buchpreis 2022 klang für mich außer Kristine Bilkaus kürzlich hier vorgestelltem Nebenan auch ein alles verändernder Sommer im Ostseeort Niendorf von Heinz Strunk so interessant, dass ich das Buch neulich gelesen habe – und nicht enttäuscht wurde.

Georg Roth, ein so erfolgreicher wie von seinem Leben gelangweilter Jurist, gönnt sich zwischen zwei Stellen eine Auszeit von mehreren Monaten, um die Geschichte seiner Familie in einem Buch zu verarbeiten. Er wählt dafür bewusst den unspektakulären Badeort Niendorf an der Ostsee, in dem er hofft, unbehelligt schreiben zu können. Er hat jedoch die Rechnung ohne seinen Wirt gemacht, den Strandkorbvermieter und Spirituosenhändler Breda, der ihn häufig aufsucht, was zu so manchem gemeinsamen Absturz führt.

Zu diesem ungleichen Paar gesellt sich Bredas Freundin hinzu und die Alkoholeskapaden nehmen immer groteskere Züge an. An ein geordnetes Schreiben ist bald nicht mehr zu denken und insgesamt verliert Roth zunehmend die Kontrolle über sein Leben.

Wie in Strunks derbem, autobiografischem Buch Fleisch ist mein Gemüse (2004) finden sich auch hier lange Passagen, in denen menschliche Unschönheit und körperlicher Verfall nahezu genüsslich zelebriert werden. Das erscheint sicher nicht jedem nur witzig und hat durchaus auch seine berührenden Seiten, ist aber offenbar – wie sein musikalisches Talent - eines von Strunks beliebten Markenzeichen. Selbst wenn gegen Ende des Romans manches sehr ausufert, bleibt der Leser bis zum Schluss interessiert am Schicksal des reichlich ramponierten Personals.

Nicht nur für Ostsee-Liebhaber finde ich die Geschichte dieser Auszeit, die zu einem kompletten Neubeginn wird, besonders in der ersten Hälfte des Romans lesens- und empfehlenswert.

 

(21.04.2023)