Eva Weissweiler, Das Echo Deiner Frage: Dora und Walter Benjamin (2020)

Sehr oft schon war zu lesen von hochbegabten Frauen, die an der Seite ihrer prominenten Männer unerkannt blieben oder gar verkümmerten. Was Eva Weissweiler über das Paar Dora und Walter Benjamin nach umfangreicher Recherche und mit aufwendiger Einbettung in den historischen Kontext darstellt, geht jedoch weit über die gängigen Klischees hinaus. Hier haben wir es mit einer wirklich sehr bemerkenswerten Frau zu tun, die offenbar die Arbeit ihres Mannes allein schon deshalb erst möglich gemacht hat, weil sie sein Leben über weite Strecken durch ihre eigene journalistische Arbeit finanzierte.

Der Untertitel Biographie einer Beziehung führt leicht in die Irre, denn die so talentierte wie tatkräftige Dora steht eindeutig im Vordergrund und wird als die treibende Kraft beschrieben, ganz anders als in vielen Werken zu Walter Benjamin zuvor. Sie wird als eine bedeutende intellektuelle Frau der Weimarer Zeit porträtiert, die in vielerlei Hinsicht ausgesprochen modern und unabhängig lebte. Das gilt nicht nur für die recht offene Beziehung, die sie mit Walter führte, sondern auch für ihren gesamten Lebensstil und ihr große geistige Eigenständigkeit. Weissweiler präsentiert das Gespann als Kombination einer ausgesprochenen pragmatischen Frau, die sich im Exil sogar als Gastronomin in England durchschlug, und eines intellektuell überragenden Mannes, der ohne ihre Hilfe am Hungertuche genagt hätte. 

Was auch immer davon stimmt, lässt sich doch sicher festhalten, dass Dora Kellner-Benjamin für eine Frau ihrer Generation ungewöhnlich öffentlichkeitswirksam arbeitete und eine sehr breite Themenpalette journalistisch aufbereitete, indem sie z.B. zu amerikanischer Literatur, Musik im Stummfilm oder der Gefahr  möglicher Giftgaskriege schrieb. Bedenkt man die Rolle der Frau und ihren meist geringen gesellschaftlichen und politischen Einfluss damals, ist diese Bandbreite erst recht beeindruckend. 

Wie die Begegnung mit Walter Benjamin Doras Leben veränderte und auch nach der Scheidung immer weiter beeinflusste, lässt sich diesem sehr lesenswerten Buch ebenso entnehmen wie detaillierte Beschreibungen des jüdischen Lebens und des aufkommenden Zionismus in Wien in ihrer Kindheit um 1900. Diese Darstellung einer Intellektuellen in der Weimarer Zeit passt zudem zum Interesse, das dieses Sujet derzeit auch an anderen Stellen erfährt wie z.B. in der aktuellen Ausstellung "Weimar weiblich" im Filmmuseum in Frankfurt.

(15.09.2023)