Molly Ball, Pelosi (2020)

Am Anfang eines Wahljahres scheint es geboten, hier ein politisches Buch aus den USA vorzustellen, die 2020 erschienene Biographie der US-amerikanischen politischen Journalistin und Autorin Molly Ball über die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Das Buch ist für mich in vieler Hinsicht bemerkenswert und zeigt eine hochehrgeizige und leistungsfähige Frau, so dass es mich nicht wundert, dass sie mit 83 Jahren wieder für den Kongress kandidieren will. 

Nancy Pelosi stammt aus einer einflussreichen italienischen Familie in Baltimore, in der Politik ständig ein Thema war. Dennoch ging sie zunächst den damals klassischen Weg der frühen Heirat und Mutterrolle. Es scheint typisch für ihr extrem hohes Energieniveau, dass sie in sechs Jahren fünf Kinder bekam, die sie alle durch die Schule brachte, bis sie erst mit 47 Jahren in die Politik ging, dann aber fulminant durchstartete und zur mächtigsten Frau in der amerikanischen Politik wurde, die mit mehreren US-Präsidenten zusammenarbeite.

Wie konnte Pelosi sich so lange auf einer derart exponierten Position behaupten? Offenbar hat sie vorsätzlich von Anfang an in der Politik ihre Kinder kaum thematisiert und sich bewusst mit „harten“ Themen befasst, um gar nicht erst in die Ecke der berufstätigen Mutter gedrängt zu werden. Ihre unglaubliche Willenskraft und Konzentration auf die Politik standen in ihrer Arbeit immer im Vordergrund, so dass dem Leser streckenweise fast unheimlich zumute wird. Auch ihre Mitarbeiter konnten häufig kaum mit dem Tempo ihrer endlosen Arbeitstage mithalten. Als echte Überzeugungstäterin spann sie im Laufe ihrer langen Karriere meisterlich ein enges Netz aus Kontakten und Allianzen, hatte immer einen Plan und sah aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen oft die Dinge klarer als andere.

Dabei weist Molly Ball durchaus auch auf Defizite und Schwierigkeiten der Person Pelosi hin. Sie war nie unumstritten und musste viel schlechte Presse und üble Nachrede ertragen. Ihr glanzvollster Moment war sicher der, in dem sie 2018 im roten Mantel mit Sonnenbrille aus dem Weißen Haus trat, nachdem sie gerade Donald Trump öffentlich bloßgestellt hatte. Das weltberühmte Bild dieses Auftritts ziert den Buchdeckel.

Wer sich für amerikanische Politik seit den 80er Jahren interessiert, ist mit diesem umfangreichen und detaillierten Buch gut bedient. Zudem kann er anhand dieser Biographie verfolgen, wie sich in den letzten Jahrzehnten die Rolle der Frau in der amerikanischen Öffentlichkeit gewandelt hat.

 

(12.01.2024)