Dirk Kurbjuweit, Nachbeben (2025)

In wenigen Tagen beginnt die jährliche Aktion "Frankfurt liest ein Buch", in der sich fast zwei Wochen lang Lesungen und Veranstaltungen um einen Roman aus dem Frankfurter Raum drehen. Als ich hörte, dass es in diesem Jahr um einen Roman geht, der auf der Erdbebenwarte auf dem Kleinen Feldberg spielt, konnte ich mir darunter nichts Packendes vorstellen. Damit lag ich völlig falsch.

Es ist eine Geschichte aus den 90er Jahren, die mit einem Erdbeben beginnt, das den jungen Protagonisten Lorenz auf kuriose Weise mit seiner künftigen Frau zusammenbringt. Geschrieben ist das Ganze aus der Perspektive des alten Seismographen Luis, der seit Jahrzehnten auf dem Kleinen Feldberg seiner Arbeit nachgeht und mit Lorenz auf besondere Art verbunden ist. Bei 200 Tagen Nebel im Jahr kann man wohl wunderlich werden und so ist dann auch das Personal auf dem Berg recht eigentümlich. Lorenz hat nach dem Abitur die Enge am Waldesrand verlassen und sieht eine glänzende Karriere in der Frankfurter Bankenwelt vor sich. Sein bisweilen unüberlegtes und riskantes Handeln steht ihm jedoch im Weg und vieles kommt anders, als seine ehrgeizige Karriereplanung einst vorsah.

Eine Freundin bemängelte das Hin und Her zwischen verschiedenen Perspektiven und Zeitebenen, aber das hat mich nicht gestört. Der rote Faden war für mich immer klar erkennbar. Ich habe hier etwas vorgefunden, das mir in vielen Romanen fehlt: eine wirklich packende Geschichte. Zudem habe ich noch nie eine so starke Beschreibung der Stadt Frankfurt direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelesen. Wenn Kurbjuweit beispielsweise schildert, wie eine kanadische Militärmaschine mit Kriegsgefangenen über der komplett zerstörten Frankfurter Innenstadt kreist, müssen nicht nur die Soldaten an Bord schlucken. 

Ich kann mir zudem wenige Autoren vorstellen, die das Ende der D-Mark und die Entscheidung für den EURO derart interessant und unterhaltsam erzählen könnten wie Dirk Kurbjuweit. Lorenz hängt nämlich an der Mark und lässt sich zu mancher nicht opportunen Aktion hinreißen.

Ich kann diese Geschichte eines Absturzes nur sehr empfehlen für alle, die sich für Erdbeben und Währungspolitik interessieren, aber auch für alle, die schlicht und einfach gerne spannenden Stoff lesen. 

(18.04.2025)

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