Gusel Jachina, Wolgakinder (2018)

Seit Wochen leben wir auf Abstand, manche Mitglieder der Risikogruppen sogar ganz isoliert. Was liegt da näher als ein Roman, dessen Hauptfigur über weite Strecken auf sich gestellt und von der Gesellschaft abgeschnitten ist, und zu schauen, wie sie damit umgeht?

Nach ihrem Überraschungserfolg von 2015 Suleika öffnet die Augen nimmt sich die russische Autorin und Filmemacherin Gusel Jachina in ihrem zweiten Roman ebenfalls ein geschichtliches Thema in einer entlegenen Gegend vor. Was für ein gewaltiges Werk: Fast 600 Seiten aus dem Leben eines Dorfschullehrers an der Wolga ab 1916. Da kann man schon jedes Zeitgefühl verlieren und es damit dem Protagonisten Jakob Bach gleichtun. Am liebsten würde er mit seiner Klara ein vollkommen zurückgezogenes Leben führen, aber die Wirklichkeit und der Wandel des Landes mit Revolution und Gründung der Deutschen Republik an der Wolga holen ihn immer wieder ein.

Das Paar wird überfallen und Klara vergewaltigt. Um ihre Tochter kümmert sich nach Klaras frühem Tod Jakob. Er ist nicht nur auf seinem Hof völlig allein mit dem Kind, sondern durch den Überfall verstummt er auch noch. Der Leser erfährt in sehr langen Beschreibungen viel darüber, wie Jakob sich mit der Situation arrangiert. An manchen Stellen zieht sich der Roman fast ausufernd lang hin, aber gerade dadurch wird das Leben am Fluss begreifbar.

(10.04.2020)