Ich binde in mein Coachingangebot immer Leseempfehlungen ein und wende mich daher besonders an Menschen, die gerne lesen. An jedem zweiten Freitag stelle ich in meinem Blog ein Buch vor. Das „Freitagsbuch“ kann ein Roman oder ein Fachbuch sein. Alle Bücher verbindet etwas: Sie drehen sich um Themen, die Menschen in Umbruchsituationen beschäftigen.
Bücher wirken inspirierend und die Leser nehmen etwas mit von den beschriebenen Verhaltensweisen, indem sie Ideen aufgreifen oder Fehler vermeiden. Da Literatur immer individuell wirkt, fühlt sich der Leser nicht von jedem Titel gleich stark angesprochen. Ich biete hier eine Auswahl meiner Lektüre an und hoffe, dass dadurch möglichst viele Leser ihre eigene Situation überdenken und in Ansätzen klären. Zudem wünsche ich den Lesern viel Vergnügen mit meiner Auswahl und immer wieder die beruhigende Erkenntnis, dass sie nicht allein dastehen mit ihren Problemen.
Ich folge meinem persönlichen Bewertungssystem:
- 6 Bücher = einfach wunderbar
- 5 Bücher = unbedingt lesenswert für eine bestimmte Lesergruppe
- 4 Bücher = interessant für eine bestimmte Lesergruppe
- 3 Bücher = nischig, nur für eine bestimmte Lesergruppe
- 2 Bücher = unterhaltsam, aber nicht mehr
- 1 Buch = lieber etwas anderes lesen
Karen Duve, Fräulein Nettes kurzer Sommer (2020)
Sie ging ihren eigenen Weg
Über dieses Buch scheiden sich seit seinem Erscheinen vor zwei Jahren die Geister. Während die einen mir erzählten, es sei ein wunderbares Buch über die Droste, fanden andere es viel zu weitschweifig. Ich habe es in den vergangenen Wochen gelesen und darin viele hochinteressante Themen gefunden. Es ist ein Buch, das sich Zeit nimmt und für das man Zeit braucht. Denn Karen Duve legt fast 600 Seiten über einen recht kurzen Ausschnitt aus dem Leben von Annette von Droste-Hülshoff vor, auf denen sie den Leser mitnimmt auf eine Reise in die Zeit des Biedermeier.
Alexander von Schönburg, Die Kunst des lässigen Anstands: 27 altmodische Tugenden für heute (2018)
Alles altmodisch, oder etwa nicht?
Als ich mich gestern über die Ablehnung einer Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren ärgerte, fiel mir ein, dass ich mir vor einiger Zeit vorgenommen hatte, Alexander von Schönburg hier vorzustellen mit seiner Betrachtung von 27 (!) altmodischen Tugenden für heute. In einer Gesellschaft, die sich offenbar - wie in vielen westlichen Ländern - hauptsächlich der Selbstoptimierung und der Verfolgung eines meist nicht näher definierten Freiheitsbegriffs verschrieben hat, scheint jeder Schritt im Sinne des Gemeinwohls eine Zumutung und dafür ist die gestrige Fehlentscheidung ein weiterer Beweis.
John Ironmonger, Der Wal und das Ende der Welt/Not Forgetting the Whale (2015)
Mit Optimismus durch die Krise?
"Die Lage ist objektiv viel schlimmer als die Stimmung": Wenn ich mich draußen aufhalte, fällt mir diese Warnung unseres Gesundheitsministers immer wieder ein. Denn das Coronavirus ist noch nicht überstanden, sondern wird nur von den Geschehnissen in der Ukraine verdrängt. Daher scheint es mir ganz passend, heute hier nach Das Licht der letzten Tage vor einiger Zeit ein weiteres Buch über eine Pandemie vorzustellen.
Gleich zu Beginn passieren in diesem Roman zwei seltsame Dinge: Ein Wal wird an den Strand eines kleinen Dorfes in Cornwall gespült und ein fast erfrorener, nackter Mann liegt plötzlich ebenfalls im Sand. Die Einwohner des Ortes ahnen - ebenso wie der Leser - sofort, dass sich da etwas zusammenbraut.
Han Kang, Die Vegetarierin (2007)
Metamorphose
In einer Zeit, in der sich alles um Politik dreht, habe ich mich bewusst entschieden, hier heute ein zwar gesellschaftlich durchaus relevantes, aber eher privates Buch vorzustellen. Mir fällt immer wieder auf, wie viele Menschen davon berichten, dass sie sich vegetarisch oder sogar vegan ernähren. Fast alle erzählen davon, dass diese Entscheidung viel in ihrem Leben verändert hat, aber nie sind diese Veränderungen so dramatisch wie bei Han Kang. Dieser Roman aus Südkorea ist erst 2015 auf Englisch erschienen, wurde danach schnell bekannt, mehrfach ausgezeichnet und international erfolgreich.
Alejo Moguillansk/Luciana Acuña, La edad media/The Middle Ages (2022)
Absurdistan: Wenn die Wirklichkeit die Literatur überholt
Gerade in Zeiten großer Unklarheit und Unruhe suchen viele Menschen nach Zerstreuung, indem sie beispielsweise ins Kino gehen, um sich trotz Maskenpflicht und Abständen Filme anzusehen. 156.000 verkaufte Eintrittskarten auf der diesjährigen Berlinale sprechen Bände darüber. Und das trotz hektischer Online-Beschaffung, strikter Hygieneauflagen und nicht zuletzt starker Stürme. Da wir uns ja hier in einem Bücherblog befinden, werde ich weder eine Eloge auf die erstklassige Organisation in Berlin und den reibungslosen Ablauf unter schwierigsten Bedingungen halten, noch von dem riesigen Filmangebot schwärmen, sondern besonders für einen argentinischen Film werben, in dem Literatur eine große Rolle spielt.